Frauen und Krieg: Zwischen Anpassung und Verfolgung

von | 31. März 2025 | Aktuell, Veranstaltung

Maria Wasilewskaja, Alexandra Talaver, Katharina Bluhm und Moderatorin Anastasia Tikhomirova (v.l.); Foto: DSG

Frauen leiden in Russland nicht nur unter Repressionen und Gewalt. Einige von ihnen gestalten die aggressiv-imperialistische Politik des Kremls aktiv mit, viele andere setzen sie in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern um. Die Deutsche Sacharow Gesellschaft lud zu einer Diskussion über russische Unterdrückung und westlichen Antifeminismus, über Graswurzelaktivismus, „Biopolitik“ und die Folgen der Kriegswirtschaft. .

Die Nachrichten aus Russland sind düster: Mindestens 266 Frauen sitzen Memorial zufolge aus politischen Gründen im Gefängnis, eben erst wurde die sibirische Journalistin Maria Ponomarenko, die seit April 2022 in Haft und wegen der Misshandlungen psychisch stark angegriffen ist, erneut verurteilt. Positive Aussagen über ein Leben ohne Kinder sind inzwischen per Gesetz verboten, zahlreiche Kliniken führen keine Abtreibungen mehr durch und Apotheken dürfen die „Pille danach“ nicht mehr anonym verkaufen. Vor wenigen Tagen hat die Regierung ein Strategiepapier verabschiedet, um die Geburtenrate bis 2036 auf 1,8 Kinder pro Frau zu erhöhen. Selbst schwangere Schülerinnen erhalten seit Neuestem Sonderzahlungen fürs Kinderkriegen und in den Regionen mühen sich die Gouverneure nach Kräften, staatliche Vorgaben zur Förderung kinderreicher Familien zu erfüllen.

Aufzeichnung der Veranstaltung:

Русская версия

Mit einem generellen Abtreibungsverbot rechnet die Frauenrechtsaktivistin Alexandra Talaver vom Feministischen Antikriegswiderstand (FAS), die ihr Land nach dem Großangriff auf die Ukraine verlassen hat, dennoch nicht. Sie verweist auf die zurückhaltende Reaktion der Staatsspitze auf dementsprechende Vorschläge eines Gouverneurs Anfang Februar. Talaver, die gerade ihre Dissertation über weibliche Selbstbestimmung und Geschlechterpolitik in der Sowjetunion beendet, erinnert daran, dass Wladimir Putin die Demografie schon in seiner ersten Rede vor der Föderalversammlung im Jahr 2000 zu einer Frage der nationalen Sicherheit erklärt und sich die Situation seither noch einmal drastisch verschlechtert hat: 2024 war die Geburtenrate so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr, während die Sterberate – nicht zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine – steigt. Talaver beobachtet angesichts dessen einen „grundlegenden Wandel in der Biopolitik“, bei dem der Staat versuche, Leben und Tod der Bevölkerung immer stärker zu kontrollieren.

Aktivistinnen gegen den Krieg, Politikerinnen für Putin

Gegen diese autoritäre Bevormundung setzen sich Graswurzelinitiativen zur Wehr, die zu großen Teilen im Untergrund arbeiten. Sie helfen Frauen, Kliniken für eine mögliche Abtreibung zu finden und finanzieren die Reisekosten über Spenden. Sie besorgen im Ausland Medikamente zur Notfallverhütung und verteilen sie auf Anfrage anonym – nicht selten an Minderjährige. „Es gab noch nie eine so gute und effektive Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen“, beschreibt es Maria Wasilewskaja von der Menschenrechtsorganisation OVD-Info. Unter Frauen herrsche eine starke Solidarität, oft gelinge es unglaublich schnell, Unterstützerinnen in Kreisen zu finden, die eigentlich als unpolitisch gelten. „Plötzlich wird klar, dass diese Frauen sehr wohl politische Ansichten haben, sie werden in der klassischen Politik nur nicht ausreichend repräsentiert.“

Für viele Frauen ist extremer Konservatismus eine Karriereoption

Auf der anderen Seite sind es zum Teil gerade Frauen, die die repressive Politik von Putins Regime vorantreiben: Margarita Simonjan, seit dessen Gründung 2013 Chefredakteurin des Auslandssenders RT, zieht regelmäßig gegen den dekadenten Westen und liberale Werte zu Felde. Gegen Maria Lwowa-Belowa, die Beauftragte des Kremls für Kinderrechte, besteht ein internationaler Haftbefehl wegen der Verschleppung von Kindern aus der Ukraine. Und die ehemalige Duma-Abgeordneten Jelena Misulina brachte das Gesetz ins Parlament ein, aufgrund dessen häusliche Gewalt seit 2017 keine Straftat mehr ist, sondern nur noch mit einem Bußgeld geahndet wird. „Für viele Frauen, vor allem in den mittleren Rängen, ist extremer Konservatismus eine Karriereoption“, sagt Katharina Bluhm, Professorin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Die drei oben Genannten kamen aus entlegenen Orten in die russische Hauptstadt und haben Wladimir Putin einen rasanten Aufstieg zu verdanken – auch wenn sie inzwischen alle drei auf der EU-Sanktionsliste stehen.

Doch das Bild ist vielschichtiger als der plumpe Gegensatz zwischen unerschrockenen Feministinnen, die sich im Untergrund organisieren und dem Krieg entgegenstellen, und gläubigen Traditionalistinnen, die vor allem Kinder gebären wollen und das Regime rückhaltlos unterstützen. „Auch innerhalb des politischen Systems in Russland gibt es alternative Diskurse“, gibt Alexandra Talaver zu bedenken. Da bietet die Putin-Partei Einiges Russland Fortbildungen für Geschäftsfrauen an, kritisiert die Kommunistische Partei ungleiche Löhne und verteidigt das zu Sowjetzeiten so fortschrittliche Abtreibungsrecht, finden sich in der orthodoxen Kirche Mütter zusammen, um für ihre Rechte einzutreten.

Hunderttausende Familien leben vom Krieg

Dann wieder sind es vor allem Frauen, die in Kindergärten und Schulen schon den Kleinsten die aggressiv-patriotischen Leitlinien des Regimes vermitteln oder in Krankenhäusern Verwundete versorgen und so einen erheblichen Teil der Kriegslast mittragen. „Viele dieser Frauen – deren Vorgesetzte übrigens fast ausschließlich Männer sind – würden lieber etwas anderes tun, aber sie sind aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen“, ist Maria Wasilewskaja von OVD-Info überzeugt. Der Staat sei nun einmal in den meisten Regionen der wichtigste Arbeitgeber.

Der Krieg wird als Wirtschaftsfaktor immer wichtiger für Frauen. Viele Sonderleistungen für Soldaten zielen auf deren Familien: Der Sold für den Fronteinsatz ist in den meisten Regionen um ein Vielfaches höher als der durchschnittliche Arbeitslohn; Prämien für Gefallene versorgen oft ganze Familien. Militärangehörige erhalten einfacher Hypotheken zum Hauskauf, ihre Kinder werden bevorzugt an Hochschulen zugelassen. „Viele junge Familie profitieren vom momentanen Regime“, sagt Alexandra Talaver. Sie zitiert offizielle Zahlen, nach denen derzeit etwa 70.000 Menschen beim Verteidigungsministerium unter Vertrag stehen, und fordert mehr Forschung in diesem Bereich: „Über die Mikroökonomie, die sich rund um den Krieg entwickelt hat, wissen wir noch viel zu wenig.“

Sich trotz allem gegen diesen Krieg zu positionieren, wird besonders für Frauen gefährlicher. Unter denen, die wegen regimekritischer Äußerungen verfolgt werden, seien immer mehr Frauen, fasst Wasilewskaja die Zahlen von OVD-Info zusammen: 51 bzw. 71 Prozent der Verhafteten während der Proteste gegen die Mobilisierung am 21. und 24. September 2022 waren weiblich – bei den Demonstrationen für Oppositionsführer Alexej Nawalny eineinhalb Jahre zuvor waren es noch 25 Prozent gewesen. Auch der Anteil von Frauen unter denen, die aus politischen Gründen juristisch verfolgt werden, wächst: bei Strafverfahren von 12 auf 17 Prozent nach dem 24. Februar 2022, bei Verwaltungsverfahren von 20 auf 32 Prozent. Unklar ist, ob das daran liegt, dass mehr Frauen an Protestaktionen teilnehmen – oder ob die Sicherheitskräfte ihnen gegenüber anders auftreten.

Konservatismus reicht nicht als Erklärung

Traditionell, sagt Wasilewskaja, hätten sich Frauen in Russland eher wegen ihrer Männer politisch organisiert, bereits im Namen ihrer Bewegungen sei das deutlich geworden: bei den „Soldatenmüttern“, die während der Tschetschenienkriege aktiv waren und später bei den „Müttern von Beslan“ genau wie bei den „Frauen der Mobilisierten“ nach dem Großangriff auf die Ukraine. „Das suggeriert, dass das eigentliche politische Subjekt der Mann ist und Frauen keine eigenen politischen Ziele verfolgen“, so Wasilewskaja. Sobald Frauen aber nicht nur Mitleid und Gnade – für ihre Männer und Familien – erwirken wollten, sondern grundlegende Rechte einfordern und eigene politische Positionen vertreten, würden sie deutlich stärker verfolgt. „Dann verschwindet auch der althergebrachte Grundsatz, dass man Frauen nicht schlägt.“

Reichen die konservative Weltanschauung führender Personen in Politik und Kirche und deren Echo in der Bevölkerung aus, um die repressive russische Politik gegenüber unabhängigen Frauen zu erklären? Nein, sagt FU-Professorin Bluhm. „Was diesbezüglich in Russland passiert, ist ein Spiegel der Entwicklung im Westen – zugespitzt gesagt: ein Import, eine Interaktion.“ Die Soziologin zeichnet nach, wie eine illiberale, national-konservative Gegenbewegung in westlichen Ländern – allen voran in den USA – Feminismus auf Genderthemen und die Unterstützung der LGBTQ-Community reduziert und daraus zusammen mit Globalisierung und Klimaschutz ein vermeintlich postmodernes, „wokes“ Paket geschnürt habe, das sich in dieser Vereinfachung hervorragend als ideologisches Feindbild eigne.

„Der Feminismus muss – nicht nur, aber auch in Russland – wieder stärker politisch-strategisch denken“

Bluhm hält eine Ausweitung der Themen für notwendig, mit denen sich Frauenrechtlerinnen – auch in Russland – beschäftigen und verweist auf das Manifest „Feminismus für die 99 Prozent“, das schon vor Jahren eine radikale Neuausrichtung der Debatte auf soziale und ökologische Fragen forderte. Feminismus, so Bluhm, bedeute nicht allein, Frauen für den Arbeitsmarkt bereitzustellen, sondern müsse Probleme wie überteuerten Wohnraum, minimale Löhne oder schlechte Gesundheitsversorgung thematisieren. „Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie mit der LGBTQ-Community und anderen Minderheiten gleichzusetzen, macht sie zu einem Teil eben dieser Minderheiten und ignoriert viele Fragen, die Frauen weltweit bewegen“, sagt die Soziologin. Der Feminismus müsse – nicht nur, aber auch in Russland – wieder stärker politisch-strategisch denken und sich fragen, welche Themen Frauen am dringendsten beschäftigten – und wo sich Männer als Bündnispartner gewinnen ließen.

Die Diskussion fand im Rahmen des vom Auswärtigen Amt unterstützten Projekts „Wege zur Aufarbeitung von Krieg und Diktatur“ der Deutschen Sacharow Gesellschaft statt. 

Schlagwörter: Feminismus · Feminist Anti-War Resistance · Frauenrechte · Krieg · Ukraine-Krieg