Die Mitglieder der Deutschen Sacharow Gesellschaft haben mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass laut Verlautbarung des Bundesinnenministeriums auf seiner Website humanitäre Aufnahmeverfahren derzeit ausgesetzt sind. Medienberichten zufolge soll sich das auch auf Einzelaufnahmen russischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nach § 22 S. 2 AufenthG beziehen, die seit Mai 2022 nach bestimmten Kriterien humanitäre Visa erhalten können.
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„Sollten diese Meldungen zutreffen, leistete Deutschland einen Beitrag zur Isolation derer in der Russischen Föderation, die sich dort auch unter den jetzigen Bedingungen gegen den von Russland gegen die Ukraine geführten Krieg, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Wer sich als Aktivist/in für Menschenrechte engagiert, als Journalist/in unabhängig berichtet oder sich als Rechtsanwält/in für politisch Verfolgte einsetzt, nimmt dafür das Risiko langjähriger Haftstrafen in Kauf“, erklärt Peter Franck, Vorstandsmitglied der Deutschen Sacharow Gesellschaft.
„Seit mehr als zehn Jahren unternimmt die russische Führung alles, um die unabhängige russische Zivilgesellschaft innerhalb des eigenen Landes aber auch international zu isolieren. Mit der bisherigen Praxis der Visavergabe hat die Bundesregierung dazu beigetragen, dem etwas entgegenzusetzen. Wer sich entschloss, in Russland zu bleiben, um dort weiter für grundlegende Menschenrechte einzutreten, konnte im Notfall auf eine humanitäre Aufnahme in Deutschland hoffen. Vor diesem Hintergrund haben engagierte Menschen ihre Arbeit in Russland oft in Zusammenarbeit mit ins Ausland gegangenen Kolleg/innen fortgesetzt und auf die Haltung der Bundesregierung vertraut“, so Franck weiter. „Zu den in Russland Verfolgten zählen auch Wissenschaftler/innen und Expert/innen, die die deutsche Öffentlichkeit und Institutionen über die politische Lage in Russland aufklären. Es ist deshalb absolut im deutschen Interesse, diesen Menschen umfassende Unterstützung zuzusichern“, ergänzt Caroline von Gall ebenfalls Vorstandsmitglied der Deutschen Sacharow Gesellschaft.
„Ändert die Bundesregierung nunmehr tatsächlich ihre bisherige Vergabepraxis hinsichtlich humanitärer Visa, kann das von den Betroffenen in Russland nur als Zeichen der Entsolidarisierung verstanden werden. Und das in einer Zeit wachsender Repressionen, in der selbst Menschen mit langjährigen Freiheitsstrafen und Haftbefehlen weiter verfolgt werden, die ins Exil gegangen sind. Eine Änderung der bisherigen Vergabepraxis hätte natürlich auch nichts mit der Bekämpfung unkontrollierter Einwanderung zu tun. Aufnahmezusagen erfolgen auch bislang nur nach umfassender Prüfung des jeweiligen Einzelfalls und zwar unabhängig davon, ob sie von russischen, belarusischen oder sonstigen Staatsangehörigen beantragt werden“, erläutert Franck weiter.
„Seit vielen Jahren eint uns das Engagement für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Russland mit unseren Partner/innen in Russland insbesondere bei Memorial und dem Sacharow Zentrum. Gemeinsam wenden wir uns gegen die immer stärker werdenden Beschränkungen grundlegender Freiheitsrechte durch den Kreml. Vor diesem Hintergrund fordert die Deutsche Sacharow Gesellschaft die Bundesregierung auf, die bisherige Praxis der Vergabe humanitärer Visa auch für russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufrechtzuerhalten.
Eine Einschränkung der Visavergabe würde hier einen „Notausgang“ verschließen, dessen Erhalt im Interesse Deutschlands und der Europäischen Union liegt: Nach einem Ende des Angriffskrieges wird ein nachhaltiger Frieden mit Russland nur möglich sein, wenn es dort noch Menschen gibt, die eine Entwicklung fortsetzen, die einmal unter den Vorzeichen von Glasnost und Perestroika begonnen hatte. Schon Andrej Sacharow hat überzeugend dargelegt, dass Frieden, demokratische Grundrechte und gesellschaftlicher Fortschritt eine untrennbare Einheit bilden“, so Franck.
Pressekontakt: mail@sacharow.de
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