Die „Füchsin“ galt als starke gefährliche Frau

von | 23. Jul 2023 | Aktuell, Jelena Bonner, Video

Im Interview der Deutschen Sacharow Gesellschaft erinnert Memorial-Gründungsmitglied Irina Scherbakowa an die Rolle Jelena Bonners für die Dissidentenbewegung der Sowjetunion und daran, wie der KGB versuchte, Andrej Sacharows Frau zu diskreditieren.
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Aus Anlass des 100. Geburtstages von Jelena Bonner hat DSG-Vorständin Uta Gerlant mit Irina Scherbakowa im Video-Interview über ihre Erinnerungen an die Frau von Andrej Sacharow gesprochen.

Scherbakowa lernte Bonner noch vor der Perestroika-Zeit kennen. Ihr erster Eindruck war der einer sehr entschlossenen und starken Frau, die sich nicht scheute, das zu zeigen.

Es gab natürlich viele Spekulationen, welche Rolle sie im Leben Sacharows spielte und der KGB nutzte das natürlich aus und verbreitete Gerüchte über sie. Sacharow scheute sich nie zu zeigen, dass sie seine Frau war, dass er sie liebte und dass ihre Meinung für ihn wichtig war. Das entsprach damals weder den Traditionen in Russland noch in Dissidentenkreisen.

Der Asket und die Füchsin

Aus kürzlich erschienen KGB-Akten geht hervor, dass die Geheimdienstleute anfangs unschlüssig waren, warum ein hochdekorierter Wissenschaftler wie Sacharow plötzlich staatswidrige Äußerungen machte und sich zum Dissidenten wandelte. In den KGB-Akten trug Sacharow den Decknamen „Asket“, Bonner war die „Füchsin“. Das deutet darauf hin, dass sie als eine starke und gefährliche Frau gesehen wurde.

(12) Mit der Zeit wurde es den KGB-Leuten klar, dass man Sacharow nicht beeinflussen konnte. Sacharow war ein absoluter Asket; So spendete er sein beträchtliches Vermögen nach dem Krebstod seiner ersten Frau an eine Kinderklinik. Der KGB schrieb daraufhin einen fast höhnischen Bericht darüber und Sacharow gestand in seinen Memoiren, dass ihm damals nicht klar war, dass sein Geld vom Staat genommen und anderweitig verwendet wurde.

Damals war Sacharow noch sehr naiv. Als er später mehr und mehr zum Kritiker wurde und – oft mit Bonner – Gerichtsverhandlungen (gegen Regimekritiker) besuchte, wurden die KGB-Berichte immer boshafter.

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Bonner und Sacharow waren ein Paar, das kompromisslos zueinander gehalten hat. Wie andere Zeitzeugen betont Scherbakowa, wie sehr die beiden gemeinsam handelten: „Wenn man über ihn spricht, muss man über sie sprechen, wenn man über sie spricht, muss man über ihn sprechen.“

1975 hielt Bonner die Nobelpreisrede für ihren Mann (dem die Ausreise verweigert wurde) und las dabei die Namen politischer Häftlinge vor. “Das war eine ganz große Tat”, sagt Scherbakowa.

Aber der KGB tat alles mögliche, um Sacharow in den Augen der sowjetischen Bevölkerung zu diskreditieren. So erschienen “abscheuliche” Artikel, die insinuierten, dass Sacharow unter Bonners Einfluss stand und ihre jüdische Herkunft thematisierten – Sacharow wurde zum Teil einer jüdischen Verschwörung. Den Menschen in der Sowjetunion sollte klargemacht werden, warum ein Mensch wie Sacharow in “die falsche Richtung” ging – die Juden waren schuld. Scherbakowa erinnert sich, dass Sacharow einen der Autoren solcher Schmutzartikel sogar ohrfeigte..

Nach Sacharows frühem Tod 1989 fragte Staatschef Michail Gorbatschow dessen Witwe Jelena Bonner, ob er etwas für sie tun könne. Bonner erwiderte, dass er doch bitte die (von Sacharow ins Leben gerufenen) Gesellschaft Memorial staatlich registrieren lassen solle. In den folgenden Jahren tat Bonner sehr viel für die Gründung des Moskauer Sacharow-Zentrums.

Irina Scherbakowa (*1949 in Moskau) ist promovierte Germanistin und übersetzte in den 1980er Jahren deutsche Schriftsteller ins Russische. Sie ist Gründungsmitglied der Gesellschaft Memorial und initiierte 1999 einen russlandweiten Geschichtswettbewerb an Schulen. Ihr Großvater war Mitarbeiter der Komintern, ebenso wie Jelena Bonners Stiefvater. Die Familie wohnte deshalb im Hotel Lux. Scherbakowa hatte bereits eine private Begegnung mit Jelena Bonner, noch bevor Memorial gegründet wurde. Irina Scherbakowa lebt seit 2022 in Weimar und hat eine Gastprofessur an der Universität Jena.

 

 

Das Interview fand im Rahmen des vom Auswärtigen Amts unterstützten Projekts „Dialoge in der Turbulenzzone” statt.

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