Russland zerstört sein humanistisches und demokratisches Erbe

von | 15. Feb 2023 | Aktuell, Pressemitteilung

Das bisherige Hauptgebäude des Sacharow-Zentrums in Moskau Foto: A. Savin, WikiCommons

Erklärung der Deutschen Sacharow Gesellschaft zur Beendigung der Nutzungsverträge für das Moskauer Sacharow-Zentrum
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Berlin, 15. Februar 2023. Heute wäre Jelena Bonner – Ehefrau und Mitstreiterin von Andrej Sacharow – 100 Jahre alt geworden. Das Sacharow-Zentrum in Moskau würdigt die Menschenrechtlerin mit einer Ausstellung, die zu ihrem Geburtstag eröffnet wird. Nach der Kündigung des Nutzungsvertrages durch die Moskauer Stadtverwaltung wird dies nach Lage der Dinge die letzte Ausstellung sein, die dort gezeigt werden kann und sich mit dem humanistischen und demokratischen Erbe Russlands befasst.

Indem die Moskauer Stadtverwaltung dem Sacharow-Zentrum seine Wirkungsstätten entzieht, zerstört sie eine zentrale Gedenkstätte an den Teil der sowjetischen Geschichte, für den Jelena Bonner und Andrej Sacharow stehen. Die Stadtverwaltung hatte dem 1996 geschaffenen „Museum und gesellschaftlichen Zentrum für Frieden, Fortschritt und Menschenrechte ‚Andrei Sacharow’“ ein zweigeschossiges Haus nebst einer zum Ausstellungssaal umgebauten Garage zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung gestellt. Dasselbe gilt für die Wohnung in der Straße Semljanoj Val 48b, in der Andrej Sacharow lebte. In ihr befindet sich sein Archiv. Damals hatten die Verantwortlichen  begriffen, dass die Bewahrung von Sacharows Vermächtnis eine Pflicht der Gesellschaft gegenüber einem der größten Humanisten des 20. Jahrhunderts ist. Ein Vermächtnis, von dem die Gesellschaft profitieren kann, wenn sie es annimmt.

Die Kündigung des Nutzungsvertrages wird mit neuen, im Dezember 2022 in Kraft getretenen gesetzlichen Bestimmungen begründet, wonach Organisationen, die als „ausländische Agenten“ eingestuft sind, nicht mehr staatlich unterstützt werden dürfen. Das Sacharow-Zentrum ist seit 2014 in die Liste der Organisationen eingetragen, „die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen“.

„Was nicht gesellschaftlich diskutiert und institutionell aufgearbeitet wird, droht irgendwann wiederholt zu werden“, sagte Jelena Bonner 1992. Die Richtigkeit dieses Satzes offenbart sich vor unseren Augen: Jelena Bonner war in den 1980er Jahren vom KGB „Agententätigkeit“ für die CIA vorgeworfen worden. Dass dem Sacharow-Zentrum jetzt vor dem Hintergrund der Vorwürfe angeblicher „Agententätigkeit“ die Räume genommen werden, weist auf Kontinuitäten hin, gegen die wir weiter eintreten müssen: Der Staat erfindet verunglimpfende Anschuldigungen, um die Rechte von Personen und Organisationen immer weiter einzuschränken. Mit der bevorstehenden Schließung der Räume verliert Moskau ein Forum, auf dem seit einem Vierteljahrhundert die Werte von Freiheit und Menschenrechten engagiert diskutiert wurden. Ein Ort der Begegnung und des Gedenkens geht verloren: Dort sprachen Václav Havel, Adam Michnik, Wladimir Bukowski, Natan Scharanski, Tomas Venclova und Tom Stoppard. Hier wurde in bewegenden Trauerfeiern Abschied genommen von Sergej Kowaljow, Boris Nemzow, Juri Ryschow, Waleria Nowodworskaja, Juri Afanasjew und anderen.

„Eine Ära geht zu Ende, aber die Geschichte ist nicht zu Ende. In Anlehnung an Sacharow glauben wir an den Triumph des Besten im Menschen, an den Triumph des Friedens, des Humanismus und des Fortschritts,“ schreibt das Sacharow-Zentrum in seiner Stellungnahme zur Kündigung. Die Deutsche Sacharow Gesellschaft steht weiter an der Seite des Zentrums und derer, die in Russland für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte eintreten. Jetzt erst recht.

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